Gehaltsmodelle, Transparenz, Teilzeit-Gehalt: Fragen an die Expertin

Das Gehalt ist für mich – neben der Arbeitszeit und dem Arbeitsort – eines der drei harten Kriterien, ob ein Stellenangebot grundsätzlich in Frage kommt.

Gerade bei Teilzeitstellen geht das nicht nur mir so. Teilzeitarbeit muss man sich auch leisten können.

Deswegen habe ich mir eine ausgewiesenen Expertin gesucht, der ich meine Fragen zum großen Thema Gehalt stellen kann.

Gefunden habe ich Natascha Kretschmar, die für die Personalberatung Talents4Good arbeitet und andere Organisationen dabei berät, eine faire und konkurrenzfähige Gehaltsstruktur zu etablieren. Natascha ist schon lange dabei und kann deswegen auch von der Einführung eines strukturierten Gehaltsmodells bei Talents4Good berichten.

Natascha Kretschmar, Fotocredit: Leonie Lorenz

Gute Gründe für ein Gehaltsmodell

Bei Talents4Good habt ihr Anfang 2022 ein Gehaltsmodell eingeführt. Warum habt ihr das gemacht?

Wir sind stark gewachsen und haben uns professionalisiert. Wenn sich das Team vergrößert, dann werden auch Fragen nach Entwicklungsschancen und Gehaltsmöglichkeiten deutlich relevanter. Also ist bei uns im Team der Bedarf nach mehr Klarheit und nach höheren Gehältern immer größer geworden.

Gleichzeitig beraten wir selber andere Organisationen und unterstützen sie bei der Entwicklung von Gehaltsmodellen. So haben wir mitbekommen, wie relevant eine Auseinandersetzung mit dem Thema ist, diesen Prozess zu durchleben und zu spüren, was das bedeutet und wie emotional das ist.

Kannst du kurz skizzieren, wie euer Modell ungefähr aussieht?

In unserer Organisation gibt es verschiedene Rollen und jede dieser Rollen – zum Beispiel Junior-Projektmanager, Projektmanager, Senior-Projektmanager – bekommt ein Basisgehalt zugewiesen.

Zusätzlich haben wir in einem langen Prozess Kriterien entwickelt, die verschiedene Zuschläge zu diesem Basisgehalt bedeuten. Wenn mein Basisgehalt 10 € sind und ich drei Kriterien à jeweils 5 Euro erfülle, dann bekomme ich insgesamt 25 €. Damit diese Zuschläge nicht nach Gutdünken entschieden werden können, gibt es ganz klare Regelungen, auch um das Handling so einfach wie möglich zu machen.

Was sind das für Kriterien?

Ganz unterschiedlich. Was zum Beispiel eine Rolle spielt, ist das Thema Erfahrung. Es gibt verschiedene Stufen für die relevanten Berufserfahrung in jeder speziellen Rolle.

Oder es gibt Zuschläge für Rollen, die viel Unternehmensverantwortung schultern, also zum Beispiel die Leute, die im Vertrieb oder im Projektmanagement sind.

Dann haben wir aber auch noch soziale Kategorien, die eine Rolle spielen, also zum Beispiel, wenn man einen Studienkredit abzahlen muss. Es geht bei uns nicht rein nach Leistungs-Performance-Komponenten, sondern soziale Umstände sollen auch berücksichtigt werden.

Diese sozialen Kritieren sind dann ein großer Unterschied zum klassischen Tarifvertrag, den ich natürlich auch kenne. Weil bei den Tarifverträgen spielen ja Erfahrung und Führungsverantwortung auch eine große Rolle.

Durch unsere Kriterien unterscheidet sich unser Modell schon von einem Tarifvertrag. Beim TVöD spielt der Studienabschluss eine große Rolle. Da katapultiert der Master eine:n Berufseinsteiger:in direkt in TVöD 13.

Ich sehe das auch kritisch, weil dadurch Wege vor allem für gewisse Lebensrealitäten geebnet werden und andere ausgeschlossen bleiben. Bei uns ist der Studienabschluss nicht so wichtig.

Arten von Gehaltsmodellen

OK, das klingt für mich überzeugend und würde vermutlich vielen Organisationen gut tun. Wenn du andere Organisationen berätst, sind dann deren Gehaltsmodelle, die implementiert werden, oft sehr ähnlich? Oder wird da jedes Mal was Individuelles erfunden? 

Ich würde jetzt mal aus dem Kopf sagen, es gibt so zwischen fünf und zehn Gehaltsmodelle, die relativ etabliert sind und innerhalb derer sich viele Organisationen bewegen. Die genaue Ausgestaltung ist dann individuell, weil jede Organisation auch verschieden ist. 

Wir sagen in den Workshops immer: Es gibt nicht das perfekte Modell, sondern es muss zur Organisation und zur Kultur passen. So ein Gehaltsmodell ist ja nicht losgelöst vom Rest der ganzen Organisation, sondern hängt mit vielem zusammen: Wie hierarchisch sind wir oder sind wir holokratisch aufgestellt? Was für eine Arbeits-, Unternehmens-, Organisationskultur haben wir? Was bedeutet Leistung für uns?

Unser Modell ist so klar und durchstrukturiert, weil wir etwas wollten, das einfach im Handling ist. Für unsere damalige kaufmännische Leitung Judith, die das Modell mitentwickelt hat, war wichtig, dass wir innerhalb von 2 Minuten das Gehalt einer Person bestimmen können.

Aber es sollte eben auch fair sein und zu unserer Organisation passen. Wir sind zum Beispiel weder komplett holokratisch organisiert, noch total hierarchisch. Und das spiegelt sich dann auch in unserem Modell.

Andere Organisationen wollen zum Beispiel die Hierarchieebenen überhaupt nicht. Da passen dann so Regelungen wie ein Einheitsgehalt besser. Da bekommt dann jede Person, unabhängig von ihrer Rolle, das gleiche Gehalt. Das finde ich auch spannend.

Oder es gibt Organisationen, die haben diese Regelung, dass jede Person individuell entscheidet, welches Gehalt sie bekommt und das im Team in regelmäßigen Abständen ausdiskutiert werden muss. Das muss natürlich auch dazu passen, wie man zusammenarbeitet. Gibt es dafür Kapazitäten? Was für eine Konflikt- und Kommunikationskultur herrscht in der Organisation? Wenn es da keine passenden Strukturen gibt, kann viel Chaos entstehen.

Ich glaube, viele Organisationen fürchten sich ein bisschen vor diesen sehr freien Regelungen, in denen die Leute selbst entscheiden können, welches Gehalt sie wollen, oder auch vor diesem Einheitsmodell. Die meisten suchen schon nach einem Modell, was eine klare Struktur hat.

Kennst du viele Organisationen, die dieses komplett selbstbestimmte Modell fahren?

Ein paar, ja.

Es beansprucht viel Zeit, glaube ich. Man muss viel sprechen und reflektieren, wie das funktioniert. Das geht auch nur bis zu einer gewissen Größe. Bei über 50 Mitarbeitenden wird es, glaube ich, schwierig.

Vorteile und Nachteile von Gehaltstransparenz

Was hältst du von völlig transparenten Gehältern? Wie ist es bei euch? Weiß jeder, was jeder verdient?

Bei uns ist das Modell intern öffentlich und auch das Glossar, in dem beschrieben ist, wie der Umgang mit dem Modell ist, wie die Kriterien sich zusammensetzen, wann man welche erfüllt. Aber es ist nicht einsehbar, wer welche Kriterien erfüllt.

Was hältst du davon, dass jede:r weiß, was jede:r verdient? Das Argument dafür ist ja, dass dann Leute nicht mehr ungleich bezahlt werden können, wenn alles transparent ist.

Dieses Thema habe ich in der Beratung ganz oft, eigentlich fast jedes Mal. Es gibt verschiedene Formen von Transparenz. Es muss nicht so sein, dass alles öffentlich ist und jede Person weiß, was die andere verdient. Es fällt schon unter Transparenz, wenn allein das Modell innerhalb der Organisation zugänglich ist. Dann gibt es auch die Möglichkeit, dass das Modell auch außerhalb der Organisation einsehbar ist, zum Beispiel auf der Website der Organisation.

Ich persönlich finde Transparenz immer gut. Ich würde mir viel mehr Transparenz und Offenheit wünschen, wenn es darum geht, über Geld und über Gehälter zu reden. Wenn das mehr passiert, dann räumen wir auf lange Sicht Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten aus, glaube ich. Der Gender-Pay-Gap hängt für mich auch damit zusammen. 

Wenn zum Beispiel Gehälter, wie es in z.B. Österreich üblich ist, in jeder Stellenausschreibung stünden, dann würden Leute anders in Gehaltsverhandlungen gehen, und vielleicht würden gerade Frauen von dieser Klarheit profitieren. 

Was sind Argumente gegen Transparenz?

Was ich bei Kund:innen manchmal mitbekommen habe, ist die Sorge, dass sich dann ganz viel um Geld dreht, dass dann viel auf andere geguckt wird, oder dass das Thema Geld so omnipräsent wird. Manchmal besteht die Angst davor, dass eine Neidkultur entsteht.

Aus meiner Sicht ist diese Sorge unbegründet, denn Mitarbeitende reden auch so über ihr Gehalt. Wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen und dann aber nicht den Raum haben, das bei Vorgesetzten zu erfragen und den im Zweifel total plausiblen Grund dafür zu erfahren, dann entstehen Unsicherheiten, Irritationen, Neid…

Daher profitiert man eher von Gehaltstransparenz. Wenn es Unsicherheiten gibt, kann man offen drüber reden. Und wenn man ein Modell hat, das gerecht in dem Sinne ist, was die Organisation eben als gerecht erachtet, dann muss man sich nicht verstecken.

Gehalt bei weniger als 40 Stunden

Das Thema, das mich fast am meisten interessiert, ist Gehalt bei Teilzeit. Also üblich ist, dass anhand einer Vollzeitstelle das Gehalt bestimmt wird, und mit einer Teilzeitstelle kriegt man dann einfach den proportionalen Anteil dieser Vollzeitstelle.

Ich habe eine Umfrage bei meinen Leuten gemacht. Das ist natürlich nicht repräsentativ, aber da haben mehr als 60% gesagt, dass man eigentlich pro Stunde besser bezahlt werden sollte als eine Vollzeitkraft, weil man auch produktiver ist. Da gibt es ja auch genug, wissenschaftliche Studien, die diese Intuition zur Produktivität unterstützen. Wie siehst du das?

Persönlich glaube ich, dass die 40-Stunden-Woche überholt ist und es an der Zeit ist, dass sich da massiv etwas ändert. Wir beobachten auch in Besetzungsprozessen, dass mehr Leute seit der Pandemie in Teilzeit arbeiten wollen. Das Thema ist noch mehr im Fokus als vor drei Jahren. 

Gleichzeitig haben wir oft das Problem, dass die Leute sich Teilzeit nicht leisten können, gerade in unserem Sektor. Wenn die Gehälter nicht so hoch sind, dann ist es schwer, weniger Stunden zu arbeiten.

Ich finde es spannend, zu hinterfragen was Vollzeit für uns eigentlich bedeutet und ob Vollzeit automatisch eine 40-Stunden-Woche sein muss. Vollzeit kann ja auch 32 Stunden bedeuten. Dann ergibt sich nicht dieses Ungleichgewicht und Leute, die heute ein Teilzeitgehalt bekommen, bekämen dann ein „Vollzeitgehalt“.

Super. Magst du uns zum Abschluss noch etwas mitgeben?

Ja, den Appell, sich mit dem Riesenthema Gehalt zu beschäftigen!

Organisationen haben oft ein bisschen Angst davor, weil es so viel Zeit und Energie kosten kann. Und die Entwicklung eines eigenen Gehaltsmodells dauert oft zwischen sechs und zwölf Monaten. Aber es lohnt sich.

Klare Gehaltsstrukturen und faire, angemessen Gehälter sind so wichtig, um zukunfts- und konkurrenzfähig aufgestellt zu sein. Sonst wird es einfach sehr schwer, noch gute Leute zu finden.

Vielen Dank, Natascha!


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Kommentare

2 Antworten zu „Gehaltsmodelle, Transparenz, Teilzeit-Gehalt: Fragen an die Expertin“

  1. Avatar von Martina Schröder
    Martina Schröder

    Meine Erfahrung ist, dass man als Teilzeit-Mitarbeiterin einen niedrigeren anteiligen Lohn bekommt. Trotz Studium und sehr langer und breiter Berufserfahrung.

    Und viele weitere Nachteile im Job hat (Verantwortung, weniger Spielraum bei Arbeitszeit und-Verteilung)

    1. Avatar von Moritz

      Danke Martina, dass du deine Erfahrung teilst.
      Das ist sehr frustrierend und leider die Erfahrung von vielen. Aber ich hoffe, dass sich hier etwas dreht und mehr und mehr Arbeitgebende sehen, wie produktiv Teilzeitbeschäftigte in ihren vergleichsweise wenigen Stunden oft sind und damit auch für diese Produktivität gut entlohnt werden. Zumindest bei den Organisationen in meinem Verzeihnis bin ich da optimistisch.

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