Gestiegener Druck in der Arbeitswelt: Kürzere Arbeitszeit als Lösung?

In den letzten Jahrzehten steigen die Burnout-Raten kontinuierlich an. Burnout ist dabei definiert als „Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet werden kann“.

Praktiker:innen wie zum Beispiel Lasse Rheingans propagieren die Verkürzung der Arbeitszeit als eine Lösung auf veränderte Anforderungen in der Arbeitswelt. Mich interessiert, ob diese Empfehlungen auch von der Forschung bestätigt werden.

Deshalb habe ich mich mit Dr. Norbert Huchler unterhalten.

Portrait Dr. Norbert Huchler

Er ist Wissenschaftler am renommierten ISF München und forscht als Arbeitssoziologe zum Zusammenspiel von Mensch, Technik, Organisation und Gesellschaft sowie zur zukunftsfähigen Gestaltung von Arbeit im Wandel.

Viele Arbeitnehmende klagen über gestiegenen Druck in der Arbeitswelt. Lassen sich diese anekdotischen Erfahrungen für die Arbeitswelt insgesamt empirisch nachweisen?

Hier gibt es durchaus fundierte Messungen (zum Beispiel Gefährdungsbeurteilungen) und Zahlen (zum Beispiel von der BAUA – Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin). Was sich aber vor allem zeigt, ist, dass sich die Belastungsquellen ändern und immer mehr komplexe Konstellationen in den Blick genommen werden müssen – innerhalb der Arbeit und in Verbindung von Arbeit und Privatleben. 

Wie äußert sich der gestiegene Druck?

Körperliche, psycho-soziale und zunehmend auch kognitive Belastungen kombinieren sich neu. Dies betrifft auch immer schwerer greifbare Belastungssettings, wie zum Beispiel gefühlte Handlungsfreiheit, Unsicherheit und Verantwortung bei objektiv geringen Handlungsräumen und starker indirekter Fremdbestimmung.

Oder auch das Problem, dass eigentlich positive flache Hierarchien dazu geführt haben, dass unterstützende (z.B. administrative) Stellen abgebaut wurden und sich die Arbeit (auch im Zuge der Digitalisierung) zunehmend in die fachlichen Tätigkeitsbereiche verschoben hat. Das Problem: Man kommt nicht mehr zur „eigentlichen“ Arbeit, die einen motiviert, an der man aber auch gemessen wird. Oftmals intensiviert sich die Arbeit – teilweise auf schwer greifbare Weise. 

Inwiefern ist Arbeitszeitverkürzung eine gute Antwort auf diese Veränderungen in der Arbeitswelt?

Eine Arbeitszeitverkürzung kann helfen, mit intensivierter Arbeit umzugehen. Diese muss aber dann auch so gestaltet werden, dass effizienter und zielgenauer gearbeitet werden kann – zum Beispiel auch mit weniger Störungen und vor ständiger Erreichbarkeit geschützten Phasen. 

Wenn Arbeitszeitverkürzung mit einem vollem Lohnausgleich einhergehen soll, müssen Arbeitnehmende genauso viel Leistung in weniger Arbeitszeit bringen. Wie sehen Sie das? Ist das realistisch?

Die Produktivität steigt kontinuierlich an. Die Frage ist, ob sie mit Ent- oder Belastung einhergeht bzw. wie die Produktivitätsrendite genutzt wird. Ich denke, es ist nicht unrealistisch, dass die Gesamtleistung pro Woche auch bei einer Reduktion um 20% bzw. einen Tag gleichbliebe. Das wäre ein Produktivitätssprung.

Aber wie gesagt, müsste dies auch entsprechend gestaltet werden, um dies auf Dauer zu ermöglichen und die damit einher gehenden Gefahren zu vermeiden. 

Übrigens wird auch unser Privatleben immer verdichteter und erhält zunehmend auch Arbeitscharakter – u.a. durch Arbeit, die wir uns selbst machen, aber auch durch ausgelagerte Arbeit von Institutionen wie die Schule und vor allem von Unternehmen. Das Stichwort heißt: die „arbeitenden Kunden“.

Eine Überlastung geht in der Regel auf eine Kombination von beruflichem und privatem Stress zurück. Ich kann mir gut vorstellen, dass die 4-Tage-Woche auch vor dem Hintergrund eines beanspruchenderen Privatlebens gefordert wird. Eigentlich braucht es (mindestens) einen Wochentag für „private Arbeit“. [Anmerkung von Moritz: Diese private Arbeit ist unabhängig von Sorgearbeit, zum Beispiel für Kinder oder ältere Menschen, zu sehen.]

Mit welchen Maßnahmen in der Arbeitsorganisation können Betriebe einen Produktivitätssprung schaffen, um ihre Leistungsfähigkeit bei einer Arbeitszeitverkürzung zu schaffen?

Da gäbe es vielfältige Ansatzpunkte: Eigentlich betrifft dies die Bearbeitung der zentralen aktuellen Belastungsquellen. Zu nennen wären zum Beispiel eine schlankere Kommunikations- und Wissensmanagementstrategie (weniger unnötige Meetings, Termine und Mails, Vermeidung von Dokumentation und Bürokratie), weniger Unterbrechungen, mehr Vertrauen und Rückendeckung, eventuell wieder eine intensivere Arbeitsteilung bzw. administrative Unterstützung, bis hin zu besseren technischen Schnittstellen und passgenauer technischer Unterstützung etc. 

Zum Abschluss: Spekulieren Sie einmal bitte – bekommen wir in Deutschland innerhalb der nächsten fünf Jahren eine flächendeckende Arbeitszeitverkürzung? Warum? Warum nicht?

Flächendeckend glaube ich nicht. Das liegt nicht am demografischen Wandel, den ich nicht als Gegenargument sehe.

Aber solche Umstellungen brauchen Zeit: zum einen kulturell, da gewohnte Konfliktlinien und Argumentationsmuster überwunden werden müssten (was beim Thema Klimawandel auch schwer zu sein scheint); zum anderen aber gehen gesellschaftliche Veränderungen wesentlich langsamer von statten, als oft geschätzt wird. Das hat auch Vorteile – zum Beispiel mit Blick auf manche nicht eintretenden Prognosen technikgetriebenen Wandels.

Aber je mehr Erfahrung neuen Zeitstrukturen gesammelt wird, desto eher werden sie Normalität. 

Vielen Dank für die spannenden Antworten, Dr. Norbert Huchler. Mehr Erfahrung mit neuen Zeitstrukturen zu sammeln – das ist ja ein Anliegen der Teilzeitbörse.


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