Die Studie zur 4-Tage-Woche in Deutschland: Interview mit Jan Bühren

Große Studien zur 4-Tage-Woche in den USA, Australien, Großbritannien und Island haben ähnliche Ergebnisse gebracht: Unternehmen mit einer 32-Stunden-Woche konnten eine steigende Produktivität, höhere Bewerberzahlen und eine bessere Gesundheit der Beschäftigten messen.

Jan Bühren, wissenschaftlicher Leiter von Intraprenör

Demnächst startet das erste große Experiment zur 4-Tage-Woche in Deutschland. Ich habe Jan Bühren, den wissenschaftlicher Leiter der Beratungsagentur Intraprenör dazu befragt.

Warum es eine Studie zur 4-Tage-Woche in Deutschland braucht

Intraprenör ist für die Koordination der Studie verantwortlich. Woher kam der Impuls für diese Studie in Deutschland?

Der Impuls ging von uns, von Intraprenör, aus. Wir arbeiten seit bald acht Jahren mit der 4-Tage-Woche und werden oft von Unternehmen eingeladen, um dazu einen Impuls zu geben. Das wird immer als inspirierend empfunden. Gleichzeitig kommen sofort die Argumente, warum es zwar bei uns gut klappt, aber bei ihnen nicht möglich ist.

Wir denken, dass die 4-Tage-Woche für die meisten Unternehmen möglich ist. Um das mit Zahlen und Fakten zu unterfüttern, haben wir Kontakt zu 4 Day Week Global aufgenommen. Diese NGO möchte in allen Ländern der Welt eine Studie zur 4-Tage-Woche durchführen, um zu untersuchen, inwiefern reduzierte Arbeitszeit die Arbeitswelt verbessert.

4 Day Week Global war gerade auf der Suche nach einem Deutschland-Partner. Das hat dann gut gepasst. Um die Studie möglichst objektiv wissenschaftlich zu begleiten, kam dann noch die Uni Münster dazu.

Bis Ende November können sich Unternehmen bei uns für einen begleiteten, sechsmonatigen Test einer 4-Tage-Woche anmelden.

Aktuell haben wir 200 Interessierte, in ganz unterschiedlichen Industrien und Bereichen. Es sind Betriebe aus dem produzierenden Gewerbe mit weit über 1.000 Mitarbeitenden, ganz kleine Unternehmen wie Bäckerein und Frisörsalons und auch projektbasierte Unternehmen wie Beratungen und IT-Dienstleister dabei. Wir streben da eine bunte Mischung an, die von den bisherigen Interessierten ganz gut abgebildet wird. Es ist natürlich nicht klar, ob alle Interessenten auch wirklich teilnehmen.

Was ist deren Motivationen mitzumachen?

Die Unternehmen sehen die positiven Effekte, die aus den anderen Ländern berichtet werden. Sie sind daran interessiert, ihre Produktivität zu erhöhen und die Beziehung zu den Mitarbeitenden weiterzuentwickeln.

Die 4-Tage-Woche ist im Grunde ein Experiment, die Produktivität zu erhöhen. Viele Unternehmen sind neugierig, ob das bei ihnen möglich ist und wo ihre bisherigen Schwachstellen liegen.

Entscheidend dabei ist, dass Unternehmen die erzielten Produktivitätsgewinne zurückgeben an ihre Mitarbeitenden. Das ist mir immer wichtig, weil da schnell das Argument kommt, dass die Produktivitätsgewinne nicht an der 4-Tage-Woche liegen, sondern an den begleitenden Trainings zur Erhöhung der Produktivität.

Das ist aber aus meiner Sicht ziemlich kurzfristiges Denken. Erstens hat es mit Respekt zu tun, dass man als Arbeitnehmer auch von den Zeitgewinnen profitiert, die man sich freigeschaufelt hat. Zweitens braucht es die längere Regenerationsphase auch für die dauerhafte Gesundheit.

Um jetzt auf deine Frage zurückzukommen:

  • Unternehmen sehen die Studie als eine Möglichkeit, ihre Arbeitsweise zu analysieren und produktiver zu werden.
  • Sie sehen die Studie als eine Hilfestellung, um in Zeiten des Fachkräftemangels als Arbeitgebermarke attraktiver zu werden. Eigentlich alle Unternehmen, die bisher in anderen Ländern teilgenommen haben, haben Bewerberzahlen in vorher unerreichten Höhen. Dahinter steht oft auch die ehrliche Motivation, den eigenen Mitarbeitenden etwas Gutes zu tun: „Es scheint ja zu funktionieren und es scheint den Leuten wirklich besser zu gehen. Warum versuchen wir es nicht?“

Nachdem es schon Studien in Ländern wie USA, Australien und Großbritannien gab: Warum braucht es noch eine Studie dazu in Deutschland? Erwartest du andere Ergebnisse?

Ich bin überrascht, wie groß das Interesse an dem Experiment war. Auch war auffällig wie stark das Thema direkt politisiert wurde, von linker und von konservativer Seite.

Ich glaube, die konkrete Umsetzung der 4-Tage-Woche ist dann schon in jedem Land ein bisschen unterschiedlich, weil die rechtlichen Regelungen verschieden sind. Deswegen bin ich auch am gespanntesten, wie es im öffentlichen Sektor, also zum Beispiel in der Verwaltung, funktioniert.

Gefühlt ist in Deutschland auch die Skepsis sehr groß, was die Arbeitszeitreduzierung angeht. Viele Unternehmen im Handwerk und in der produzierenden Industrie meinen, dass es nicht geht. Deswegen erwarte ich ein Erwachen, falls dann positive Effekte auch genau in solchen Unternehmen gemessen werden.

Wenn wirklich solche positiven Effekte gemessen werden, könnte diese Studie ein Impuls für die öffentliche Debatte in Deutschland sein, festgefahrene Muster zu verlassen und Arbeit ein bisschen neu zu denken.

Teilzeitarbeit und Produktivitätsgewinne

Es gibt ja unterschiedliche Varianten der 4-Tage-Woche. In Deutschland wird die Variante 100-80-100 getestet, also 100% Leistung, 80% Arbeitszeit, 100% Bezahlung. Was sind aus deiner Sicht die größten Hebel, um in 80% der Arbeitszeit 100% der Leistung zu bringen?

Alex Soojung-Kim Pang von 4 Day Week Global, die internationale Koryphäe zur 4-Tage-Woche sagt immer: „Eigentlich ist die 4-Tage-Woche schon da. Sie ist nur unter ganz vielen bescheuerten Prozessen und Arbeitswesen versteckt.“ Da gibt es auch viele Studien dazu, die erheben, wie lange Arbeitnehmende eigentlich produktiv arbeiten und die diese These stützen. 

Die größte Hebelwirkung ist eine Disziplinierung der Meeting-Formate. Da hat auch Microsoft Teams oder Zoom nicht geholfen, weil es jetzt einfach noch mehr Meetings gibt. Der Sinn von Meetings wird viel zu selten hinterfragt. 

„Could this meeting have been an email?“ ist da der Klassiker dazu. Meistens ist die Antwort ja. Wobei man sich auch durch Emails gegenseitig unglaublich viel Zeit stehlen kann.

Bei Intraprenör arbeiten wir ohne interne Emails und ohne internen Chat. Bei uns läuft die interne Kommunikation aufgabenbasiert ab. Dazu nutzen wir Asana, aber andere Tools wie Monday oder Trello bieten Ähnliches.

Das sind jetzt ein paar Beispiele für Stellschrauben, bei denen man gucken kann, wann ist Zusammenarbeit produktiv und wann nicht. Diese Stellschrauben müssen aber in jedem Unternehmen ein bisschen anders betätigt werden. Das hängt davon ab, wie in dem Unternehmen gearbeitet wird. Wie viel Kreativität ist dabei gefragt? Wie sehr geht es um schnelles Abarbeiten?

Meine These zu Produktivität ist: Es gibt in Deutschland schon viele Menschen, die das 100-80-80-Modell testen. Also 100% der Leistung in 80% der Zeit mit 80% Bezahlung. Das heißt dann Teilzeit. Deswegen sind Teilzeitkräfte oft ein ziemlich guter Deal für Unternehmen. Wie blickst du auf Teilzeitarbeit?

Das würde ich unterschreiben, dass Teilzeitkräfte oft viel Leistung für verhältnismäßig wenig Geld bringen. Wichtig ist mir dabei, dass die allermeisten Unternehmen nicht gut auf Teilzeitarbeitende eingestellt sind. Deswegen müssen sich Teilzeitkräfte oft ziemlich krumm machen, um die Erwartungen von Kollegen, aber auch vom Unternehmen, erfüllen zu können, weil die Abläufe nicht gut aufeinander abgestimmt sind.

Wenn das gesamte Unternehmen, oder zumindest die gesamte Abteilung, das einmal gemeinsam macht, dann funktioniert das deutlich besser.

Bei Intraprenör haben wir zum Beispiel alle den Freitag frei. Darum sind hier auch alle darauf eingestellt und es werden keine Emails beantwortet. In Unternehmen mit 40-Tage-Woche ist das nicht immer so einfach, einen Tag nicht erreichbar zu sein. Da versuchen dann vielleicht andere die eigene Zeit einzuteilen. Da schwingt dann oft mit, die Teilzeitarbeitenden leisten ja weniger als wir, deswegen können wir das machen. 

Leistung wird in Deutschland oft mit Arbeitszeit gleichgesetzt. Das ist aus meiner Sicht falsch.

Nach Ergebnissen statt nach Arbeitszeit führen

Wie könnte man Leistung, und damit auch die Bezahlung, anders als über die Arbeitszeit bestimmen?

Basierend auf den erzielten Ergebnissen.

Das ist natürlich viel schwieriger, unpräziser und gerade in Deutschland sehr ungewohnt. In Deutschland geht es noch sehr nach der alten Management-Devise „Die Jacke von XY hängt da von früh morgens bis spät abends. Wow, das ist ja ein richtig leistungsstarker Kollege.“

Darum ist es nicht einfach, sich auf die Reise zu begeben, was denn eigentlich im Unternehmen die Leistung und die Produktivität ausmacht und wie man darauf basierend führen kann.

Arbeitet dann jeder so lange er oder sie möchte? Wie kann man denn konkret nach den erzielten Ergebnissen führen? 

Letztendlich ja, die Arbeitszeit ist dann nicht wichtig.

OKRs sind ein Ansatz dazu, Ziele und Ergebnisse ins Zentrum zu stellen. Bei Objectives and Key Results setzt man sich gemeinsam Ziele und schaut, wie diese nachvollzogen wurden.

Dabei ist mir aber wichtig, dass nie alles für alle gilt. Zum Beispiel müssen im Kundenservice einfach bestimmte Zeiten besetzt werden. Aber auch hier kann man überlegen, ob es reicht, wenn sie einfach da sind, oder ob man auch dort gemeinsam in den Dialog geht und überlegt, was erreicht werden soll.

Jetzt noch zu meiner letzten Frage: Wann kommt die 4-Tage-Woche in Deutschland?

Da wage ich keine Prognose. Ich denke aber, dass ein solcher Schritt nicht von der Politik ausgeht, sondern von Unternehmen. Auch historisch haben Unternehmen bei einer Arbeitszeitverkürzung immer den ersten Schritt gemacht.

Deswegen hoffe ich, dass wir mit der weltweiten Community von 4 Day Week Global und der großen Pilotstudie in Deutschland einen Stein ins Rollen bringen.

Vielen Dank für das Gespräch Jan! 

Und wer sich mit seiner Organisation noch für die Studie anmelden möchte, kann dies hier tun.


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