Den richtigen Job finden? Erstmal den Stellenmarkt vergessen!

Ich war schon 10 Jahre lang berufstätig, bevor ich das erste mal auf einer der großen Jobbörsen war. Bis dahin bin ich immer von einer Tätigkeit in die nächste gerutscht.

Darum hat Cathy Narriman bei einer Infoveranstaltung zu Flipped Job Market eine sperrangelweit offene Tür bei mir eingerannt. Dort hat Cathy erzählt, wie selten der klassische Stellenmarkt dabei hilft, den passenden Job zu finden. Den meisten Menschen geht es meistens eher wie mir. Es ergibt sich halt einfach.

Portrait Cathy Narriman
Portrait Cathy Narriman

Mit ihrer selbst entwickelten Methodensammlung „Flipped Job Market“ und dem Flipperium unterstützen Cathy und ihre Crew Menschen, auch beruflich das zu tun, was sie „gerne“ machen. Ich bin großer Fan ihrer Arbeit und habe sie deswegen zu einem Gespräch auf meinem Blog eingeladen.

Cathy, was läuft falsch am Stellenmarkt? Was muss da von dem Kopf wieder auf die Füße gestellt werden?

Wir haben eine paradoxe Situation. Einerseits gibt es einen Fachkräftemangel: Organisationen suchen händeringend nach Mitarbeitenden, in vielen Branchen, für viele Positionen. Der Mangel ist so groß, dass wir das als Endverbraucher:innen immer mehr spüren. Da schließt die Betreuungseinrichtung aus Personalmangel früher, da können Geschäfte nicht mehr täglich öffnen etc…

Gleichzeitig haben wir eine relativ hohe und wieder steigende Arbeitslosenzahl: viele Menschen, die auf Jobsuche sind, die unzufrieden sind, die wechseln wollen. Sowie hohe Burnout-Zahlen. Die Stimmung ist auf beiden Seiten alles andere als euphorisch.

Das Problem ist offensichtlich erstmal nicht, dass wir zu wenige Stellen oder zu wenige Leute haben. Die Richtigen finden nicht zueinander! Ich glaube, dass wir vor allem ein Matching-Problem haben.

Dafür gibt es natürlich viele Ursachen. Eine der Ursachen ist, dass wir den Kanal zu eng machen, über die Menschen und Arbeitsstellen zueinander finden sollen: Wir sind es gewohnt, dass die Arbeitgeberseite sagt, was sie braucht, sich Stellenbeschreibungen ausdenkt und sich dann aus einem Pool an Interessierten die vermeintlich Richtige raussucht. Aussiebt. Die Kriterien werden stark reduziert auf Merkmale wie Führerscheinklasse X, Skills Y und Abschlüsse Z. So wird sehr komplexitätsreduziert gesucht. Alle bis auf eine Person bekommen eine Absage – aber auch die glückliche Gewinnerin oder die Arbeitgeberseite ist oft enttäuscht von dem Ergebnis. 

Ab dem Moment, in dem die Stellenbeschreibung veröffentlich wird, tritt oft die Arbeit selbst, die Aufgabe, in den Hintergrund. Die Stelle wird zum Objekt, muss vermarktet werden und attraktiv für viele Bewerbende erscheinen. Auch die Jobsuchenden auf der anderen Seite vermarkten sich, damit sie attraktiv für potenzielle Arbeitgebende sind. Eine echte Begegnung findet dann also kaum statt, sondern beide Seiten arbeiten mit Idealbildern und Marketing, die wenig mit der komplexen Wirklichkeit zu tun haben. Alle spielen Spielchen.

Durch die Besetzung der Stelle wird dann das eigentliche Problem, das die Organisation durch die Ausschreibung der Stelle beheben will, oft gar nicht gelöst. Organisation und Mitarbeitende werden dann beide unzufrieden. 

Wie kann man das dann besser machen? Wie helft ihr Menschen, die es anders und besser machen wollen? Was ist euer Ansatz?

Unser Ansatz ist nicht, Menschen dabei zu begleiten, einen nächsten Job zu bekommen. Das ist nicht unsere Idee. Wir untersützten Menschen vielmehr dabei, selbstbestimmt und selbstbewusst zu gestalten, wie und zu welchen Bedingungen sie arbeiten. Das ist eher eine grundlegende Kompetenz, als dass wir vermeintliche „Marktwerte“ verbessern. Und die dann aber recht wirkmächtig die Chancen auf gute Jobs enorm erhöhen.

Dazu gehen wir zuerst einen Schritt zurück und fragen: Was möchte jemand eigentlich wirklich gerne machen? Was findet jemand wichtig und richtig zu tun? Wir nennen das das „Gerne“-Prinzip.

Ich zitiere da immer aus dem Impro-Theater: „Bei allem was man gerne macht, läuft man auch Gefahr, es gut zu machen.“ Und das kennt man ja von sich selbst. Auch andersherum. Es fällt sehr schwer, etwas gut zu machen, auf das man absolut keinen Bock hat.

Da kann was Neues zum Vorschein kommen, aber es ist auch wichtig, sich dabei zu vergegenwärtigen, dass man schon viel kann und eine Wertschätzung dem gegenüberbringt, was man schon gemacht hat und regelmäßig macht.

Der zweite Ratschlag ist, sich zu fragen, was brauche ich denn? Was sind die Werte, die nicht verletzt werden dürfen? Was sind wichtige Ansprüche, Grenzen oder Bedürfnisse? Ich habe z.B. den Anspruch, dass im Job niemand rumbrüllt. Wenn ich angebrüllt würde, wollte und könnte ich an diesem Arbeitsplatz schlicht nicht arbeiten.

Jemand anderes sagt aber vielleicht: „Ach, ich habe ein dickes Fell, das ist mir egal. Mir ist viel wichtiger, dass die Menschen um mich rum nicht aufgesetzte Freundlichkeit pflegen, das macht mich wahnsinnig und dann mache ich auch meine Arbeit nicht gut.“

Der dritte Ratschlag ist dann, sich professionell (im Sinne von „beruflich“) und außerhalb der eigenen Bubble zu vernetzen, um eben Kontexte zu finden, die passen. Du hast mir das im Vorgespräch mit deinen eigenen Erfahrungen bestätigt: Jede:r hat so seine Netzwerke, aber sobald man sich ein neues Thema erschließen oder die Szene wechseln möchte, wird es schon schwieriger.

Deswegen ist es so wichtig, ein Netzwerk zu knüpfen, das nicht über Beziehungen und Abhängkeiten funktioniert, sondern über Inhalte. Also: Ich finde ein Thema wichtig, und vernetze mich mit den Leuten, die beruflich mit diesem Thema zu tun haben.

Wenn ich das aus eurer Info-Veranstaltung richtig mitgenommen habe, ratet ihr Jobsuchenden, den offenen Stellenmarkt links liegen zu lassen und sich eher auf den verdeckten Stellenmarkt zu konzentrieren. So hast du die Stellen bezeichnet, die nicht ausgeschrieben, sondern einfach so vergeben werden. Ist der nicht viel schwieriger und viel mehr durch Diskrimierung geprägt als der offene Stellenmarkt?

Also: Ich halte den verdeckten Arbeitsmarkt wie Du auch für unfair. Aber der offene ist noch schlimmer! 

Ich rate entsprechend, den Stellenmarkt generell erstmal links liegen zu lassen, egal ob den offenen oder den verdeckten. Das macht nur Stress und setzt den Fokus falsch. Es geht schließlich um dein Leben und nicht nur um deinen nächsten Job.

Schauen wir uns dazu doch mal an, wie der Stellenmarkt funktioniert, bzw. nicht funktioniert. Und da ist der erste Schritt die Frage: Wie entsteht denn eine „Stelle“?

Auf Arbeitgeberseite steht am Anfang ein Problem, das bisher nicht gelöst werden kann. Da gibt es eine Aufgabe und jemand soll Geld dafür bekommen, um diese Aufgabe zu tun. Da ist also ein Bedarf an Arbeitskraft. Wenn dann in diesem Moment jemand vor der Tür stehen würde, der das gerne macht, das kann und da voll Bock drauf hat, dann wäre die Stelle besetzt. Das wäre doch eigentlich die Traumsituation. Und – Überraschung! – so funktioniert es tausendfach ungeplant täglich, nämlich immer dann, wenn neue Aufgaben intern oder an im Netzwerk bekannte Leute vergeben werden. Und das nennt man dann verdeckten Stellenmarkt. Der ist entsprechend riesig: Ca. zwei Drittel aller Stellen werden auf diese Weise besetzt.

Du kannst ja mal zehn Leute fragen, wie sie ihre Stelle bekommen haben. Vielleicht stand da irgendwann auch mal eine klassische Bewerbung am Anfang. Aber die derzeitige Stelle hat sich bei vielen dann einfach „so nach und nach ergeben“.

Der offene Stellenmarkt dagegen entsteht, wenn sich niemand gefunden hat, die oder der die Aufabe erledigen kann oder möchte. Und dann schreibt man eben diese komplexitätsreduzierten Merkmale in eine Stellenanzeige…Im offenen Stellenmarkt landen also vor allem auch Aufgaben, für die sich im eigenen Netzwerk (verdeckten Arbeitsmarkt) niemand gefunden hat. Keine gute Ausgangslage.

Nächstes Problem: In Bewerbungsverfahren sind Privilegien letztlich immer viel entscheidender als Zeugnisse oder Kompetenzen. Die Beispiele und Studien, in denen Bewerbende mit verschiedenen Fotos und Namen die gleichen Bewerbungsunterlagen verschicken und dann sehr unterschiedliche Rückmeldungen bekommen, zeigt, wie unfair es am offenen Stellenmarkt zugeht.

Ich halte aber nichts davon, anonymisierte Bewerbungen als Lösungen zu etablieren. Ich verstehe natürlich die Idee und die Gedanken dahinter, aber Menschen sind keine Maschinen oder Geräte mit bestimmten „Features“ . Wir brauchen die menschliche Beziehung bei der Arbeit. Wir müssen eher daran arbeiten, dass wir Unterschiede, Vielfalt und Menschliches als wertvoll erkennen und mehr Beziehungen außerhalb unserer Bubble ermöglichen.

Erschwerend kommt beim offenen Stellenmarkt noch obendrauf, dass ein nicht unerheblicher Teil der ausgeschrieben Stellen in Wirklichkeit gar nicht mehr zu vergeben ist – aber halt nochmal  „formal ausgeschrieben werden musste“. 

Mehrfach unfair also!

Natürlich ist auch der verdeckte Arbeitsmarkt teilweise sehr unfair und korrupt: Da ist jemand jemandem einen Gefallen schuldig oder jemand kennt wen und bevorzugt diese Person dann. Aber der verdeckte Arbeitsmarkt basiert auch auf Empfehlungen, auf Vertrauen und Beziehungen: „Da gibt es eine Person, mit der arbeite ich gerne. Die hat vielleicht grad eine schwierige Zeit oder nicht so gute Zeugnisse, aber ich weiß, dass die das lernen kann, und wir vertrauen uns und sie hat Lust da drauf.“

Das ist dann aus meiner Sicht auch verständlich und etwas Faires – auch im Sinne der zu erledigenden Aufgabe. Und ich finde es  auch richtig, dass wir immer persönlicher werden und nicht anonymer. Ich glaube nämlich, wir brauchen mehr Resonanz und persönliche Beziehungen. 

Aber jetzt kommt mein eigentliches Anliegen: Wogegen wir uns sowohl auf dem offenen wie auch im verdecktem Arbeitsmarkt auf jeden Fall gesellschaftlich, politisch und auch individuell engagieren müssen, ist Diskriminierung, Intransparenz, Abhängigkeiten, Ausgrenzung durch Privilegien etc… Und wir als Flipped Job Market engagieren uns eben damit, dass wir Techniken für alle Menschen entwickeln, mit denen sie sich über ihre Tellerränder hinaus vernetzen und zueinander finden können. Und sich im Arbeitsmarkt selbstbestimmter und gleichwürdig bewegen können.

Wenn der verdeckte Arbeitsmarkt noch die bessere Alternative ist und dafür das Netzwerken so zentral ist, kannst du da ein paar Tipps geben? Wie macht man das denn gut?

Es gibt verschiedene Ideen, was man unter einem Netzwerk versteht. Wir meinen keine exklusiven, sondern solidarische Netzwerke. Sich mit anderen Menschen über Inhalte und Themen verbinden. Wir zwei zum Beispiel interessieren uns beide für Arbeitswelt-Themen und sprechen deswegen miteinander – und kommen sicherlich auf neue Ideen gemeinsam oder werden uns in unseren Netzwerken bedenken.

Also: Ich unterhalte mich mit anderen Menschen, die in einer ähnlichen Szene unterwegs sind und tausche mich mit ihnen aus. Ich kann sie dann zum Beispiel auch fragen, wie sie zu ihrem Job gekommen sind. Ich profitiere dann davon, wenn ich mich mit verschiedenen Menschen unterhalte und mir deren Lebenswege anhöre. Meine Perspektive öffnet sich und ich merke dann: „Ah, in dieser Szene gibt es in jeder Firma einen Menschen, der dieses und jenes macht.“ Wenn ich dann noch frage, mit wem ich denn noch sprechen könnte, erweitere ich mein Wissen und mein Netzwerk. Man braucht am Anfang eigentlich nur ein, zwei Kontakte, um loszulegen.

Das ist die Grundidee dieser Netzwerktechnik.

Und die Grundidee von der Haltung, mit der diese Netzwerktechnik angewandt wird, ist: „Ich versuche interessiert zu bleiben, und nicht auf die andere Person interessant zu wirken. Also weg von der Selbstvermarktung á la: „Hier sind meine tollen Noten, meine tollen Referenzen und meine tollen Meilensteine.“ Sondern: „Ich interessiere mich für dich, weil du mit dem Thema zu tun hast. Mehr will ich nicht. Ich will keinen Job bei dir, ich bin einfach an Informationen, Inhalten interessiert.“ 

Das macht einen großen Unterschied, wenn man offen, neugierig, ohne Job-Gedanken, ohne Nützlichkeitserwartung und ohne Konkurrenzgedanken erstmal erkundet, was es denn so alles gibt da draußen.

So bauen sich echte Netzwerke auf. Man ist sich nichts schuldig, das ist sehr wertschätzend und das kann wirklich jede Person machen.

Das ist dann auch professionell. Es geht nicht darum, dass jemand berühmt ist oder nützlich für mich ist, sondern weil sie sich für die Profession und die Inhalte interessieren, die ich auch toll finde.

Wie siehst du denn Arbeiten in Teilzeit? Glaubst du auch, dass es schwieriger ist einen Job mit 32 Stunden oder weniger zu bekommen? Oder denkst du, dass es sich durch euren Ansatz mit dem Gerne-Prinzip und dem Netzwerken problemlos ergibt?

Teilzeitarbeit sehe ich auch auf alle Fälle als großes Thema.

Grundsätzlich sehe ich da das Grundproblem, dass wir Arbeit in Zeit messen. Die Eine ist sehr schnell fertig und dreht dann noch 10 Stunden Däumchen, um auf die 40 Stunden zu kommen. Und wer anders schafft das Pensum auch in 50 Stunden kaum. Also, wir könnten grundsätzlich in Frage stellen, Arbeit überhaupt in Zeit zu messen. Wir kennen das auch als Selbstständige oder Künstler:innen – da denkt man eher in „Werken“. Das ist keine Pauschallösung, z.B. würde das nicht Jobs funktionieren, die eine Präsenz erfordern. Aber hier flexibler zu denken, ist hilreich. 

Ich habe gerade ein Beispiel aus meinem Coaching. Da arbeitet jemand im Konzernumfeld im IT-Bereich, wo das eher ungewöhnlich ist – 25 Stunden. Und der hat diese Stundenanzahl auch von Anfang an klar für sich bestimmt, zum sehr sehr großen Erstaunen der Vorgesetzten. Aber wenn man Mitarbeitende braucht, sollte man sich freuen, wenn jemand 25 Stunden arbeitet für einen. Der Umfang der Wochenarbeitszeit ist ja ein komplett ausgedachtes (und veränderbares) Konstrukt und nicht naturgegeben. Also es geht.

Aber mein Eindruck ist schon auch, dass es schwieriger ist, das ist kulturell so verfestigt. In den letzten 25 Jahren hat sich die Welt aber verändert. Damals war es noch möglich, mit einem (Alleinverdiener- )mittelmäßigen Vollzeitgehalt, eine Familie zu ernähren. Und ein Großteil der insgesamt anfallenden Arbeit wurde unentgeltlich von den Hausfrauen erledigt, um das mal sehr vereinfacht auszudrücken. Das geht heute einfach nicht mehr.

Ich empfehle in diesem Zusammenhang das Buch „Working Class“ von Julia Friedrichs, die da viele aktuelle Schicksale begleitet. Zum Beispiel wird da ein Ehepaar von Musiklehrern portraitiert, die beide Vollzeit arbeiten und bei denen trotzdem das Geld kaum reicht für eine vierköpfige Familie. Und die anfallende Arbeit in Haushalt und Familie etc. muss noch obendrein erledigt werden. Kaum zu schaffen.

Deswegen ist Teilzeitarbeit auch immer eine Frage, wer sich das überhaupt leisten kann. Teilzeitarbeit bedeutet Teilzeitgehalt, weniger Rentenansprüche, weniger Weiterbildung und weniger Aufstiegsmöglichkeiten. Deswegen ist Teilzeitarbeiten ohne vorhandenes Vermögen definitiv schwieriger. Und für z.B. Alleinerziehende ein echtes Problem.

Gleichzeitig erlebe ich es bei den Menschen, die zu uns finden, dass so gut wie alle am liebsten weniger als 40 Stunden arbeiten möchten. Letzlich geht es um die Frage, wie man die Erwerbsarbeit und auch die nichtbezahlte Arbeit wie die Care-Arbeit gesellchaftlich fair verteilt. Und entlohnt – wobei ich da immer sehr schnell bei der Frage der Vermögensverteilung und nicht bei der Einkommensunterschieden lande. Womit wollen wir unser Leben bestreiten und wie wollen wir unser Leben leben? 

Das ist eine tolle Schlussfrage. Vielen Dank, liebe Cathy Narriman!


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