Arbeiten bei der Genossenschaft verdigado: ein flexibles Utopia?

Genossenschaften haben nicht die Maximierung der Rendite von Kapitalgebern im Sinn, sondern das Wohl und die Belange ihrer Genossinnen und Genossen.

Da würde ich erwarten, dass Genossenschaften ihre Mitarbeitenden besonders wertschätzen. In meinen Augen beinhaltet das auch Arbeiten in Teilzeit und remote work.

Ich habe Judith Werner aus dem Leitungsteam der genossenschaftlich organisierten IT-Dienstleisterin verdigado nach der dortigen Arbeitskultur befragt.

Portrait Judith Werner
Portrait Judith Werner
Fotocredits: Alexander Urban

Kleiner Spoiler: Zumindest im Fall von verdigado konnte ich meine Vorurteile voll bestätigen. Das wird als toller Arbeitsort beschrieben. 😀

Steckbrief verdigado

Die verdigado eG bietet als moderne IT-Dienstleisterin ihre Services in drei Hauptgeschäftsfeldern an: Web-Sites & Web-Hosting (TYPO3 & WordPress), Cloud-Anwendungen für kollaboratives Arbeiten und Individualleistungen nach speziellen Anforderung unserer Kund:innen.

gegründet am 21.9.2019

Beschäftigtenzahl: 20

Davon in Teilzeit (32 Stunden oder weniger): 18

Davon überwiegend remote: alle

Kontakt: jobs@verdigado.com

18 von 20 Beschäftigten arbeiten bei euch in Teilzeit. In welchen Wochenarbeitsstunden-Zahlen bewegen sie sich?

In allen. Wir haben jemand mit 10 Stunden und dann geht es rauf bis 32 Stunden, was ja noch als Teilzeit gilt. 

Zwei Mitarbeitende sind in Vollzeit. Wichtig ist das besonders im Bereich Support. Hier wollen wir natürlich möglichst gut erreichbar sein für unsere Kund*innen. 

Ansonsten arbeiten wir wirklich sehr flexibel, auch was die Verteilung der Arbeitszeiten angeht. 

Ihr arbeitet alle remote. Wie seid ihr in der Welt verteilt?

Es gibt in Berlin ein kleines Büro, das die Kolleg*innen vor Ort nutzen können, aber nicht müssen. Sie können auch komplett von zu Hause arbeiten. Ansonsten sind wir über ganz Deutschland verteilt.

Es haben sich zufällig einige Cluster ergeben: In Bayern sind wir relativ stark vertreten. Und dann haben wir noch etliche Mitarbeitende in der Berliner Großregion. Der Rest von uns sitzt in allen möglichen Orten, von der Kleinstadt bis zur Metropole.

Wie organisiert ihr euch dann? Wenn jeder unterschiedlich lange und an unterschiedlichen Orten arbeitet, dann ist das wahrscheinlich gar nicht so einfach. Wie sind da eure Routinen, eure Tools?

Wir haben ein paar regelmäßige Meetings. Wir versuchen allerdings, die möglichst kurz zu halten, damit die Terminkalender gerade für die Leute mit wenigen Stunden nicht komplett mit Meetings vollgestopft sind. Wenn du die Hälfte deiner Zeit mit Meetings verbringst, dann kommt sonst nicht mehr so viel herum. 

Wir treffen uns einmal im Monat in einem Town Hall Meeting. Da sind dann wirklich alle da – außer wer in Urlaub oder gerade erkrankt ist. Das geht meistens ungefähr eine Stunde. Dort wird zum Monatsanfang alles Wichtige und Aktuelle besprochen.

Grundsätzlich sind wir in Teams strukturiert, die sich einmal die Woche digital verabreden. Auch da achten wir auf kompakte Zeitfenster und kurze Kommunikations-Wege. Die sonstige Kommunikation zum Tagesgeschäft läuft hauptsächlich über unser Chat-System, Rocket.Chat. Das bieten wir auch selbst in unserem Portfolio als Team-Tool an. In Rocket-Chat versuchen wir alles in Gruppen-Channels zu besprechen, weil dort – im Gegensatz zur Eins-zu-Eins-Kommunikation – nichts verloren geht.

Außerdem haben wir ein Wiki, indem wir längerfristig relevante Themen und Dokumentationen festhalten. Und dann haben wir natürlich noch ein gemeinsames Datei-Sharing-System. Wir nutzen, die Tools, die wir anbieten, also auch selbst für unsere Arbeit.

Ganz klassisch für den IT-Bereich gibt es ein Ticket-System für die Entwicklung und ein Kommunikations-System für den Support.

Wie schafft ihr es, einen gemeinsamen Teamspirit zu bilden und zu erhalten, wenn ihr verteilt arbeitet?

Ich glaube, dass das sehr stark mit zwei Dingen zusammenhängt: Erstens damit, welche Leute hier arbeiten, und zweitens damit, wie die Firma zustande gekommen ist.

Wir sind eine Genossenschaft. Einige der Gründungsmitglieder arbeiten auch noch im Tagesgeschäft mit. Gewinnmaximierung steht schon aufgrund der Rechtsform nicht im Fokus, sondern es geht hier allen um die Inhalte und das Wohl der Mitarbeitenden.

Entstanden ist verdigado aus der Netzbegrünung. Das ist ein ehrenamtlicher Verein, der sich zum Ziel gesetzt hatte, die Digitalisierung von Bündnis90/Die Grünen voranzutreiben und da auch sehr viel Herzblut reingesteckt hat.

Irgendwann war dann klar: das geht auf ehrenamtlicher Basis nicht mehr, sondern muss professionalisiert werden. Doch der Spirit aus dieser Zeit ist geblieben. Unser Slogan heißt: IT with attitude. Das ist kein Werbespruch, sondern ernst gemeint. Es geht uns darum, Transparenz und Open Source zu fördern und Partizipation zu ermöglichen.

Ich glaube, es fängt bei verdigado niemand an, der sagt: „Ich will jetzt halt einfach nur so irgendeinen Job, und es ist mir egal, ob ich Hosting verkaufe oder Schuhe oder irgendwas anderes.“ Sondern es sind schon alles Leute, die die gleichen Ideale teilen.

Wie wichtig sind euch persönliche Treffen?

Wir sind während der Pandemie stark gewachsen und es gibt Kolleg*innen, die sich in real life eine Weile gar nicht kannten. Das funktioniert für eine gewisse Zeit, aber das Verhältnis zueinander verändert sich schon nochmal, wenn man sich auch mal wirklich kennengelernt hat.

Deshalb treffen wir uns jetzt einmal im Jahr zu einem Teamwochenende, wo es um langfristige Strategien und Teambuilding geht. Und der Spaß darf dabei natürlich auch nicht zu kurz kommen, sprich wir gehen essen, wandern oder unternehmen vor Ort etwas gemeinsam als Gruppe.

Unser nächstes Treffen ist im Oktober. Wir legen Wert darauf, das langfristig zu planen, damit das gerade auch Eltern, von denen wir viele im Team haben, oder Menschen mit Haustieren und Co. gut organisieren können. 

Was sind für euch die Vorteile eurer Arbeitsweise, also in Teilzeit und remote?

Wenn ich da mal für mich persönlich sprechen darf: Ich musste als Kind sehr weit in die Schule pendeln und war gefühlt meine ganze Jugend irgendwie im Bus auf der Landstraße. Seitdem versuche ich Pendeln so gut es geht zu vermeiden. Den Wunsch haben bei uns viele. Vor allem weil uns auch der Nachhaltigkeitsaspekt wichtig ist: Wer nicht pendeln muss, produziert auf dem Arbeitsweg auch kein CO2.

Außerdem stärkt es natürlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wenn man durch solche Fahrten wertwolle Zeit einspart. Gerade für uns als IT-Unternehmen ist das ein wichtiges Thema. Wir haben insgesamt zwar mehr Männer als Frauen im Team, sind aber bestrebt, dass wir da irgendwann einen Ausgleich hinbekommen. Dabei helfen Stellen in Teilzeit und Home Office, weil wir so für Frauen, die in Deutschland ja leider immer noch die Hauptlast der Care-Arbeit tragen, als Arbeitgeberin attraktiv sind.

Aber es befördert auch die Vereinbarkeit in anderen Aspekten des Lebens. Wir haben zum Beispiel auch Mitarbeitende, die nebenbei noch studieren, ein Haus sanieren oder im Ehrenamt sehr aktiv sind. Teilzeitmodelle stärken insgesamt die Work-Life-Balance. 

Außerdem macht Remote-Arbeit das Recruiting einfacher. Wären wir an einem Ort –und seien es auch Großstädte wie München oder Berlin – dann hätten wir auch nur den „Zugriff“ auf die Leute, die da physisch hinkommen oder schon in dieser Umgebung sind. Gerade angesichts des Fachkräftemangels ist es toll, wenn du in ganz Deutschland oder sogar Europa nach dem richtigen Personal Ausschau halten kannst, weil die Menschen dort arbeiten können, wo sie gerade leben. Gerade in der IT werden Fachleute gesucht. Da sind wir schon froh, was uns das remote-Arbeiten hier an Chancen eröffnet.

Wie schätzt du die Produktivität von Beschäftigten in Teilzeit ein?

Bei verdigado sind wir überzeugt, dass Produktivität in Teilzeit eher höher ist als geringer.

Wir machen die Erfahrung, dass man in kompakten Zeiteinheiten deutlich mehr schafft, als wenn man stundenlang in Büros sitzt und die Zeit tot schlägt. Klar müssen die Aufgabenpakte realistisch gestaltet sein. Aber wenn du weißt, jetzt dann habe ich meinen nächsten Termin für die Familie oder meine Selbstständigkeit und und und, dann habe ich den Eindruck, dass das eher motiviert, Dinge auch abzuschließen.

Das soll natürlich nicht heißen, dass wir denken, dass alle, die 40 Stunden arbeiten, ständig Däumchendrehen. Aber wir glauben, dass sich Arbeit aber eben auch gut anders organisieren lässt und so Menschen mehr Freiheit und Raum gibt, ihr Leben so zu gestalten, dass sie produktiv und zufrieden sind. 

Vielen Dank für das spannende Gespräch, Judith!

Verdigado ist eines der Pionierunternehmen im Verzeichnis teilzeitfreundlicher Arbeitgebenden.


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