Teilzeit für alle: Die Lösung für viele Probleme unserer Gesellschaft

Die Klimakatastrophe, immer mehr psychische Erkrankungen, ein Rentensystem unter großem Druck, zu wenig Pflegekräfte für zu viele Pflegebedürftige, zu wenig Kitaplätze …

Wenn es uns an einem nicht mangelt, dann sind es Probleme. Mit dem folgenden Gedankenspiel versuchen wir diesen Problemen gemeinsam mit dir zu entfliehen. Stell dir für den Verlauf dieses Textes vor, alle Menschen in Deutschland würden bei gleichem Gehalt nur noch 30 Stunden arbeiten.

Hier erfährst du 10 Gründe, warum sich dieses Szenario positiv auf die Gesellschaft auswirken würde.

1. Weniger Arbeitslosigkeit

Arbeitslosigkeit führt nicht nur dazu, dass Menschen weniger Geld zur Verfügung haben. Menschen, die arbeitslos sind, werden auch von unserer Gesellschaft ausgeschlossen. Im Job erfahren wir Anerkennung und pflegen soziale Kontakte. Umso wichtiger ist es, Wege für Menschen aus der Arbeitslosigkeit zu finden. Bei einer generellen Arbeitszeitverkürzung der Vollzeitbeschäftigung müssten Unternehmen weitere Arbeitsplätze schaffen, um die gleichbleibende Arbeitslast zu stemmen. Dadurch könnten theoretisch mehr Menschen, die derzeit arbeitslos sind, eine Arbeitsstelle finden.

Auch wenn uns Arbeitslosigkeit bei dem derzeit grassierenden Fach- und Arbeitskräftemangel nicht als größtes Problem erscheint, könnte sich das in einigen Branchen durch den digitalen Wandel und eine sozial-ökologische Transformation rasch ändern.

Wenn die Unternehmen für die gleiche Arbeit mehr Menschen beschäftigen und ihnen mehr Gehalt für weniger Stunden bezahlen sollen, kommt schnell die Frage auf: Wie sollen die Unternehmen das bezahlen?

Auch darauf haben volkswirtschaftliche Theorien eine Antwort. Da viele Studien zeigen, dass es bei einer verringerten Arbeitszeit sogar zu einer Produktivitätssteigerung in den Unternehmen kommt, könnten die Unternehmen die zusätzlich entstehenden Kosten so finanzieren. Gleichzeitig könnten mehr Menschen in Arbeit auch eine erhöhte Nachfrage zur Folge haben, was sich ebenfalls positiv auf die Umsätze der Unternehmen auswirken sollte.

2. Förderung der Gesundheit

Arbeit kann uns krank machen. In der Produktionsarbeit nehmen in den letzten Jahren repetitive Aufgaben weiter zu – auch solche in ungesunden Zwangshaltungen. Die effiziente Produktion fördert somit körperliche Erkrankungen wieder mehr als früher.

Der eigentliche Treiber für berufsbedingte Arbeit heißt allerdings: Stress. In den letzten Jahren zeigt sich ein Anstieg der psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Burn-out. Wer krank ist, fällt auf der Arbeit aus. Diese Ausfälle führen zu enormen Kosten im deutschen Gesundheitssystem. Wie kann eine generelle Arbeitszeitverkürzung hier helfen?

Wenn wir weniger Stunden arbeiten, sind wir auch dem Stress oder den körperlich anstrengenden Tätigkeiten kürzer ausgesetzt. Dadurch können wir unsere Belastungen verringern und Erkrankungen vorbeugen. Gleichzeitig hätte eine kürzere Arbeitszeit auch längere Pausen zwischen den Arbeitstagen zur Folge. Dadurch hätten wir mehr Zeit zur Regeneration von der Arbeit. Eine Win-win-Situation!

3. Entlastung des Rentensystems

Da die Arbeit uns psychisch und physisch immer mehr zusetzt, steigt auch die Anzahl an Frührentnerinnen und -rentnern. Diese Menschen zahlen nicht weiter in die Rentenkasse ein. Durch eine Verkürzung der Arbeitszeit könnten Menschen ihrer Arbeit gesünder und somit länger nachgehen. So würden die Rentenkassen entlastet. Und nicht nur die Menschen und die Rentenkassen würden von einer gesünderen, längeren Arbeit profitieren.

Auch die Unternehmen könnten somit länger auf die Erfahrung langjähriger Mitarbeitender zurückgreifen.

4. Mehr Zeit für Pflege

Unsere Gesellschaft wird immer älter. Da ist es logisch, dass auch die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen immer weiter steigt. Gleichzeitig ist der Fachkräftemangel in der Pflege längst schon bittere Realität und Pflegekräfte fehlen überall. Wie also können die Menschen zukünftig versorgt werden?

Eine kürzere Arbeitszeit könnte auch hier mehr Zeit zur Pflege von Angehörigen schaffen. So könnte zusätzlich das Gesundheitssystem entlastet werden.

Ein weiteres großes Problem der aktuellen Care-Arbeit ist ihre ungleiche Verteilung auf Männer und Frauen. Bis heute leisten Frauen einen Großteil der Care-Arbeit. Wenn Männer und Frauen allgemein weniger arbeiten würden, hätten sie auch gleich viel Zeit für Care-Arbeit. Bestenfalls könnten sie diese dann auch gleichmäßiger unter sich aufteilen.

5. Bessere Betreuung der Kinder

Eine Familie gründen und gleichzeitig Karriere machen – das klingt für viele Frauen bis heute oft nach einer Wunschvorstellung. Kürzere Arbeitszeiten für Männer und Frauen könnten genau diesen Traum wahr werden lassen.

Darüber hinaus wünschen sich immer mehr Eltern mehr Zeit für ihre Kinder. Bei einer allgemeinen 30-Stunden-Woche könnten sich Väter und Mütter die Betreuungsaufgaben der Kinder fairer aufteilen und sie wären zufriedener mit ihrer Rolle als arbeitende Eltern.

6. Mehr Geschlechtergerechtigkeit

Der lange Weg hin zu einer größeren Chancengerechtigkeit zwischen den Geschlechtern führt immer auch über eine höhere Unabhängigkeit der Geschlechter voneinander. Nur wenn in einer Partnerschaft beide Personen einer existenzsichernden Arbeit nachgehen, können sie sich auch unabhängig von ihrem Partner machen.

Auch wenn in Deutschland mittlerweile der Großteil der Frauen berufstätig ist, arbeiten viele Frauen weniger Stunden als Männer und verdienen somit auch weniger als sie. Daraus resultiert eine Abhängigkeit der Frauen von ihren Männern bis ins Rentenalter. Um Care-Arbeit und Karriere unter einen Hut zu bringen, könnte eine verringerte Stundenanzahl bei einer Vollzeitbeschäftigung ein entscheidender Schritt sein.

7. Mehr Zeit für Privatleben

Nicht nur für die Care-Arbeit und die Familie brauchen wir mehr Zeit neben der Arbeit. Auch unser Privatleben und die vielen kleinen Entscheidungen des Alltags verdienen mehr Zeit und Aufmerksamkeit. Von Versicherungen über Banken hin zu Konsumentscheidungen fordert uns unser Alltag immer mehr. Eine verkürzte Arbeitszeit könnte zu mehr Respekt für die vielen kleinen Aufgaben des Alltags führen und alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer grundlegend entlasten.

8. Verstärktes Ehrenamt und politisches Engagement

Ehrenamtliche Tätigkeiten und politisches Engagement brauchen vor allem eins: Zeit. Allerdings ist Zeit in unserer Gesellschaft leider nicht fair verteilt. Wer jeden Tag – vielleicht sogar in mehreren Jobs – hart arbeiten muss, um über die Runden zu kommen, kann sich weniger einbringen. Eine verkürzte Arbeitszeit könnte somit über alle Einkommensgruppen hinweg zu verstärktem politischen Engagement führen. Das könnte auch unsere Demokratie im Allgemeinen stärken.

Gleichzeitig verlassen wir uns in vielen Bereichen auf ehrenamtliches Engagement. Die Feuerwehr beispielsweise kann eine lebensrettende Funktion haben und wird durch viele engagierte Menschen verstärkt. Zeit und Raum für solche wichtigen Tätigkeiten zu haben, kann für uns alle nur positiv sein.

9. Mehr Zeit für besseren Konsum

Wer weniger Zeit arbeitet, hat mehr Zeit, um bewusste Konsumentscheidungen zu treffen. Mehr Konsum stärkt zunächst die Wirtschaft und schafft langfristig weitere Arbeitsplätze. Gleichzeitig hätten wir alle durch eine verringerte Arbeitszeit mehr Zeit uns mit unserem Konsum auseinanderzusetzen. Wie wurde ein Produkt hergestellt? Möchte ich diese Produktion unterstützen oder nicht? Durch mehr Zeit für genau diese Fragen könnten wir eine höhere Nachfrage für nachhaltigere Produkte schaffen. Und Nachfrage schafft bekanntermaßen auch ein Angebot. Ein weiterer positiver Nebeneffekt?

Durch verkürzte Arbeitszeiten könnten auch die Menschen im Einzelhandel kürzer arbeiten. Wenn wir alle kürzer arbeiten würden, hätten wir tagsüber mehr Zeit für Einkäufe und müssten diese nicht in die Abendstunden schieben.

10. Mehr Chancen auf echten Umweltschutz

Teilzeitarbeit hilft dabei, zwei der größten Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen: Dem Artensterben und der Klimakatastrophe.

Eine generelle Arbeitszeitverkürzung kann unseren Umweltverbrauch eindämmen. Neben dem schon oben skizzierten bewussteren Konsum kommen noch andere Effekte dazu: weniger Arbeitswege bei kürzerer Arbeitszeit und einen größeren Handlungsspielraum für die Politik.

Eine sozial-ökologische Transformation mit dem Rückbau umweltschädlicher fossiler Industrien ist mit einer Reduktion der Arbeitszeit leichter möglich, da so die Arbeitszeit besser umverteilt werden.

Außerdem wünscht sich die große Mehrheit der Deutschen, weniger zu arbeiten. Durch eine generelle Arbeitszeitverkürzung könnte somit der Wunsch vieler Menschen erfüllt werden. Vielleicht lässt sich damit sogar der Fokus weg von der Steigerung des Brutto-Inland-Produkts und damit des Materialverbrauchs bewegen. Ein besseres Leben bedeutet nicht mehr Zeug, sondern mehr Zeit für das, was uns wichtig ist!

Fazit: Weniger Arbeitsstunden = besser für alle?

Wer sich all’ diese Argumente durchliest, kann sich nur für eine Verkürzung der allgemeinen Arbeitszeit aussprechen. Denn eine Vollzeitbeschäftigung mit 30 Stunden könnte:

  • Arbeit für derzeit arbeitslose Menschen schaffen
  • Kosten für Renten- und Gesundheitssystem senken
  • Geschlechtergerechtigkeit im Beruf und bei der Care- und Erziehungsarbeit erzielen
  • Gesellschaftliches und politisches Engagement sowie eine nachhaltige Lebensweise fördern

Allerdings gehört zur Vollständigkeit, dass es auch Gegenstimmen aus der Volkswirtschaft gibt. So soll beispielsweise aus neoklassischer Perspektive sogar eine Arbeitszeitverlängerung zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit führen.

Die Theorie dahinter besagt, dass längere Arbeitszeiten zu sinkenden Arbeitskosten führen würden. Unter Arbeitskosten versteht man alle Kosten, die für den Einsatz der Mitarbeitenden in einem Unternehmen anfallen. Daraus könnten sich sinkende Preise ergeben, während die Einkommen der Menschen konstant blieben. In einem idealen Markt könnte das tatsächlich funktionieren.

Die Kritik an dieser Theorie lautet allerdings, dass wir nicht in einem solchen perfekten Markt leben und Preise sich beispielsweise nicht so flexibel zeigen, wie sie es müssten, um einen solchen Effekt zu erzielen. Dass wir nicht in der Theoriewelt der klassischen Ökonomen leben, hat auch die damalige Debatte um die flächendeckende Einführung des Mindestlohns gezeigt. Der vorausgesagte Untergang des Wirtschaftsstandort Deutschlands ist eben nicht eingetroffen.

Also, jetzt die Arbeitszeit für alle verkürzen? Was denkst du?


Diesen Beitrag hat Laura Schmitz verfasst. Laura ist Global Campaign Manager bei QIAGEN und Marketing Team Lead bei Integreat. Sie arbeitet aus Überzeugung weniger als 40 Stunden, um mehr Zeit für Ehrenämter und ihr Leben zu haben. Vielen Dank, Laura!

Inspiriert wurde dieser Text von der Expertise Arbeitszeitverkürzung als
Voraussetzung für ein neues gesellschaftliches Produktionsmodell
(Institut für Sozialforschung München und Universität Augsburg) dem Dossier Bausteine für Klimagerechtigkeit: Arbeitszeitverkürzung (Konzeptwerk Neue Ökonomie).


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