Teresa Hertwig zu Remote Work und Teilzeit: Weggucken ist der Untergang

Teresa Hertwig hat sich schon vor der großen Home Office-Welle während der Pandemie als Expertin zu remote work selbstständig gemacht und ist deswegen heute in Deutschland die Päpstin zu diesem Thema.

Außerdem befürwortet sie neben der örtlichen Arbeitsflexibilität auch die zeitliche und hat in einem ihrer Bücher für die perfekte Arbeitsutopie der Zukunft von einer 20-Stunden-Woche geträumt.

Ich wollte schon lange mit ihr sprechen, weil Teilzeitarbeit und remote Arbeit meiner Meinung nach in ihrer Wirkung auf Unternehmen viel gemeinsam haben und mich interessiert, wie sie das sieht. Jetzt hat es geklappt.

Home Office vor Corona

Du hast dich 2018 mit GetRemote selbstständig gemacht. Das war ja noch eine völlig andere Arbeitswelt. Wie groß war damals das Interesse an deinem Thema remote arbeiten?

Als ich damals in meinem Freundes- und Bekanntenkreis erzählt habe, dass ich mich jetzt mit GetRemote selbstständig gemacht habe, da gingen die Rückmeldungen in die Richtung: „Ja, Teresa, wer braucht denn bitteschön eine Homeoffice-Beratung? Vielleicht gibt es das manchmal in deiner Berliner Startup-Welt, aber in der breiten Wirtschaft geht das nicht.“ 

Ich war aber damals schon total überzeugt, dass das die Zukunft ist. Weil ich in meiner eigenen Festanstellung, die ich remote ausüben durfte, selbst erlebt habe, wie erfüllend das ist und wie loyal ich meinem Arbeitgeber gegenüber war.

Deswegen hat mich die Skepsis auch nicht gestoppt und ich habe viel zu dem Thema auf LinkedIn gepostet und von meinen Erfahrungen als Führungskraft in einem remote Team erzählt: Was passiert mit mir als Führungskraft, wenn ich alle auf einmal remote arbeiten lasse? Ich hatte das remote arbeiten in unserer Firma sogar initiiert und trotzdem haben ich diese Angst vor dem Kontrollverlust gespürt.

Nach ein paar Wochen haben sich dann direkt Geschäftsführer von Vorreiterunternehmen bei mir gemeldet und wollten sich dazu austauschen. Diese haben wie ich in einer Flexibilisierung der Arbeit und Home Office die Zukunft gesehen und ich durfte sie dann dabei begleiten, das umzusetzen.

Was für Unternehmen waren das am Anfang? Waren das vor allem Agenturen oder Startups oder kamen sie aus dem klassischen Mittelstand?

Das ist das Spannende: Die Unternehmen, die wir beraten, kommen aus ganz unterschiedlichen Branchen. Eines der Anfangsunternehmen war ein Aufzugbauer. Da konnte der produzierende Bereich nicht ins Home Office, aber der kaufmännische Bereich sehr wohl. Dann durften wir zum Beispiel auch einen Lebensmittelhersteller beraten, ein Wasserbauunternehmen und sogar im konservativen universitäten Bereich. 

Also tatsächlich nicht unbedingt Startups, sondern eher kleine inhabergeführte Unternehmen und der klassische Mittelstand. Inzwischen beraten wir auch Konzerne, aber das erst seit Corona.

Was hat die damals schon angesprochen?

Damals hat die Unternehmen angesprochen, dass es eine andere Art und Weise von Führung braucht. Dass ich bewusster zusammenarbeiten muss und dass dies einen total positiven Effekt auf die generelle Zusammenarbeit hat.

Das hat Unternehmen angesprochen, die schon mit dem Gedanken gespielt haben, ihre Mitarbeitenden das Home Office zu erlauben, aber gleichzeitig ein bisschen Bammel davor hatten. Was passiert dann eigentlich? Sie wollten nicht blind vertrauen und die Leute einfach losschicken, sondern sie brauchten eine Strategie.

Die Pandemie schickt alle ins Home Office

Corona hat ja dann alles verändert. Ich vermute, dass war auch für dich eine krasse Zeit, als die Nachfrage auf einmal explodiert ist.

Corona war total crazy. Da war ich ja schon zwei Jahre am Markt und konnte beobachten, wie diese Pandemie auf einmal alle ins Home Office gezwungen hat, die vorher voller Überzeugung behauptet haben: „Neenee, das geht bei uns nicht. Wir müssen ja zum Kreativarbeiten in einem Raum sein. Da funktioniert Home Office nicht.“

Gleichzeitig war der Zusammenhalt groß. Alle wollten in dieser Krisensituation, dass ihre Firma überlebt.

Die Situation für Führungskräfte war damals auch schwierig. Einerseits hatten sie vielleicht selbst mit dieser Krise zu kämpfen. Andererseits sollten sie ihre Mitarbeitenden remote führen und waren darauf überhaupt nicht vorbereitet.

Zwei Monate vor dem Ausbruch von Corona hatte ich einen PR-Kurs begonnen und habe da gelernt, wie ich mein Thema in der Presse platziere. Als durch die Pandemie das Homeoffice Thema dann ziemlich schnell akut wurde, habe ich einigen Journalisten meine Tipps für Führungskräfte angeboten und war am nächsten Tag im Spiegel.

Dann war ich im Newsletter bei XING auf Platz 1, bei der Süddeutschen, bei ARTE, im Sat1 Frühstücksfernsehen. Das war dann wie so ein kleiner Schneeball, der ins Rollen kam. 

Denn auf einmal gab es ganz viele selbsternannte Home Office Berater. Die sind aus dem Boden geschossen, weil es die Nachfrage plötzlich gab. Da war mein großer Vorteil, dass ich schon zwei Jahre am Markt war und wirklich aus der Praxis kam. Deswegen wurde ich da als Expertin wahrgenommen und nicht als jemand, die auf den Corona-Zug aufspringt.

Insgesamt wurde das Thema in dieser Zeit riesig und so sind dann auch meine zwei Bücher entstanden.

Zukunft Home Office oder alle zurück ins Büro

Ist das Thema Home Office in ein paar Jahren durch, weil alle verstanden haben, wie es funktioniert?

Das ist eine spannende Frage! Ich würde sie mit „Nein“ beantworten.

Am Ende des Tages geht es nicht um das Home Office, sondern um eine andere Art und Weise der Zusammenarbeit.

Viele Unternehmen denken: „Wir bieten ja schon 3 Tage Home Office an, bei uns ist Home Office eingeführt“. Genau da liegt der Hund begraben. Nur weil ich Home Office anbiete und vielleicht sogar schon eine Betriebsvereinbarung dazu habe, heißt das nicht, dass das schon reibungslos läuft.

Die meisten Firmen haben da viel Sand im Getriebe. Das merken sie auch, da es an verschiedenen Stellen zäh wird: Dann kann man den Kollegen mal wieder nicht erreichen, vielleicht gibt es ein bisschen Performance-Probleme und gefühlt bricht beim Teamgefühl ein bisschen was auseinander.

Deswegen brauchen sie eine neue Art und Weise der Zusammenarbeit. Dabei geht es auch nur am Rand um die Quotenregel – können wir zwei oder drei Tage ins Home Office gehen.

Hauptsächlich geht es um Kommunikation:

  • Wie kommunizieren wir miteinander?
  • Welche Tools nutzen wir dazu?  
  • Welches Führungsverständnis haben wir?
  • Welche Vertrauenskultur herrscht bei uns?

Mir ist da wichtig: Vertrauen fällt nicht vom Himmel. Mit der Devise „Die Führungskräfte sollen einfach vertrauen und dann klappt das schon“ ist es nicht getan. Man muss einen gemeinsamen Rahmen schaffen, der Vertrauen erst ermöglicht.

Das ist aus meiner Sicht die eigentliche Arbeit – diesen Rahmen zu schaffen und ihn auch immer wieder zu beobachten: Wo stehen wir gerade? Wo passt es und wo müssen wir nachjustieren?

Das ist nicht vorbei nach zwei, drei Runden. Deswegen wird das die Unternehmen meiner Meinung nach noch viele, viele Jahre beschäftigen.

Das klingt plausibel…

Aber natürlich stellt sich jetzt eine gewissen Müdigkeit ein. Wenn wir ganz ehrlich sind, denken sich viele Unternehmen irgendetwas in die Richtung: Corona haben wir überlebt. Home Office müssen wir behalten, weil wir das den Mitarbeitenden nicht mehr wegnehmen können. Und es läuft jetzt schon irgendwie.

Aber dieses „Es läuft jetzt schon irgendwie“ wird dazu führen, dass die Unternehmen in ein paar Jahren gegen die Wand fahren. Deswegen muss man jetzt hingucken.

Es darf nicht passieren, dass Unternehmen in drei Jahren merken: „Wegen Home Office ist alles den Bach runter gegangen.“ Weil dann die Mitarbeitenden zurück ins Büro zu ordern, wird es nicht besser machen.

Es gibt aber ja durchaus prominente Figuren wie Elon Musk oder Sam Altman von OpenAI, die behaupten, dass man für echte Innovation am besten gemeinsam in einem Raum sitzen sollte und die deswegen ihre Mitarbeitenden zurück ins Büro holen wollen. Haben die einen Punkt oder was läuft da schief?

Tatsächlich denke ich, dass sich die Unternehmen, die jetzt wieder alle zurück ins Büro holen, wegducken. Damit remote Arbeiten funktioniert, muss ich die Organisation weiterentwickeln. Dazu brauche ich neue Prozesse, neue Kommunikationswege und das wird erstmal unangenehm. 

Ich kann nicht einfach die Leute ins Home Office schicken und so weiterarbeiten wie bisher im Büro. Das funktioniert eine Weile und dann nicht mehr so gut. Wenn ich dann die Leute einfach zurück ins Büro hole, drücke ich mich vor Veränderung.

Es gibt ja durchaus große Unternehmen, die schon lange komplett remote arbeiten. Allerdings ist es natürlich auch einfacher, wenn man von Beginn an den gemeinsamen Rahmen definiert und alle Mitarbeitenden sofort in diesem Rahmen arbeiten.

Die Unternehmen hingegen, die alle ins Home Office geschickt haben, und jetzt hybrid arbeiten, die können sich immer noch auf dem Büro „ausruhen“. Da gibt es die Versuchung, einfach so wie früher weiterzuarbeiten, als alle noch im Büro saßen. Das ist genau der Fehler.

Das Büro ist nur noch ein Zuckerl, um mal physisch zusammenzukommen. Aber ich muss alle dazu bringen, in einer remote Arbeitsweise zu arbeiten. Sonst besprechen die Leute im Büro immer noch die Sachen über den Schreibtisch hinweg und die anderen bekommen es nicht mit. 

Das heißt, ich muss ganz anders kommunizieren und anders dokumentieren, um Teile der Belegschaft nicht auszuschließen.

Die Gemeinsamkeiten von Teilzeitarbeit und remote work

Die Prozesse zu dokumentieren und schriftlich zu kommunizieren, hilft auch Teilzeitarbeitenden sehr. Deswegen ist mein Eindruck, dass Unternehmen, die remote zusammenarbeiten, sich deutlich leichter damit tun, Teilzeitkräfte gut einzubinden. Wie siehst du das?

Das sehe ich genauso! Teilzeitkräfte kann ich dann gut in das System des Unternehmens integrieren, wenn viel asynchron kommuniziert wird.

Wenn ich nicht alle Mitarbeitende zur gleichen Zeit am gleichen Ort brauche, ermöglicht das zum einen remote Arbeit und zum anderen Teilzeitarbeit.

Ich kann dir ein Beispiel aus einem großen Unternehmen nennen, das wir begleiten und das auch viele Teilzeitbeschäftigte hat. Da ist ein Bereich dabei, in dem im Schichtsystem gearbeitet wird.

Dadurch geht das einfach zeitlich nicht, dass das komplette Team einmal zusammenkommt. Aus diesem Grund müssen die viel mehr asynchron arbeiten und dokumentieren. Da funktioniert es gut, weil es funktionieren muss.

Im selben Unternehmen, anderes Team, kein Schichtbetrieb: Die haben nicht von außen den Zwang, asynchron zu kommunizieren. Die sagen, asynchron arbeiten funktioniert nicht. 

Also sehen wir auch hier das gleiche wie bei Corona. Sobald es einen Zwang von außen gibt, funktioniert vieles, was vorher als nicht möglich angesehen wird. 

Es gibt noch einen weiteren großen Vorteil von Home Office für Teilzeitarbeitende. Viele Teilzeitkräfte können ihre Stunden aufstocken, wenn sie nicht mehr ins Büro fahren müssen, um zu arbeiten. Dann arbeiten sie beispielsweise am Vormittag und hängen dann noch ein paar Stunden an Randzeiten dran, zum Beispiel am Abend.

Das ist ein guter Hebel, um in Zeiten des Fachkräftemangels aus der bestehenden Belegschaft heraus mehr Arbeitszeit zu mobilisieren und Teilzeitkräften mehr Teilhabe zu ermöglichen.

Ist eine gemeinsame Herausforderung von Home Office und Teilzeitarbeit der gefühlte Kontrollverlust? Wenn ich nicht weiß, was die Mitarbeitende im Home Office so treiben, und wenn ich Teilzeitkräfte nicht zu jeder Arbeitszeit anrufen kann, um ihnen etwas aufzutragen?

Ganz genau!

Das Thema Erreichbarkeit ist natürlich wichtig. Ich muss das Thema regeln, wenn ich erfolgreich hybrid und mit Teilzeitkräften zusammenarbeiten möchte. 

Ich kann zum Beispiel eine Kernarbeitszeit festlegen – aber dann ist die Frage, ob alle Teilzeitkräfte in der Kernarbeitszeit verfügbar sein können. Oder muss es dann eine Ausnahme für die Teilzeitkräfte geben?

Oder gibt es Antwortzeiten, auf die wir uns einigen? Oder machen wir sichtbar, wer in Teilzeit arbeitet und wann diese erreichbar sind?

Im Büro ist für die Führungskraft ersichtlich, wer da ist. Remote sieht die Führungskraft nicht, ob die Teilzeitkraft gerade im Dienst ist und so entsteht dann vielleicht das Gefühl, dass die nicht erreichbar ist. So entsteht leichter Missgunst.

Darum ist es wichtig, sichtbar zu machen, wer gerade im Dienst. Und das ist ja auch kein Hexenwerk.

Ich kenne genug Studien, die zeigen, dass Produktivität bei verringerter Arbeitszeit steigt. Wie schaut es da eigentlich bei remote Arbeit aus?

Wir haben immer Ausreißer in beide Seiten. Das müssen wir uns klar machen.

Menschen, die sich gerne vor der Arbeit drücken, können das sehr gut im Büro und natürlich auch sehr leicht im Home Office. Leute, die leistungswillig sind, die im Team etwas bewegen wollen, die machen das genauso im Büro und im Home Office.

Ich würde sogar sagen, dass eine remote Arbeitsweise im Optimalfall dazu führt, dass mehr auf Ergebnisse geschaut wird und deswegen die Produktivität steigen kann.

Bei einem normalen 40-Stunden-Job im Büro werde ich ja für die Anwesenheit bezahlt. Ich kann nicht früher gehen, selbst wenn ich mein Tagessoll schon erfüllt habe. 

Ich habe damals noch als angestellte Führungskraft mit jedem Mitarbeitenden ein wöchentliches One-on-One gemacht, in dem wir die Ziele für die Woche besprochen haben. Wenn dann jemand eine Abkürzung findet und die Ergebnisse in vier statt in acht Stunden erzielt hat, sage ich doch „Geil gemacht!“ und gebe nicht noch zusätzliche Aufgaben als Strafe. Dann kann die Person an den See gehen oder wie auch immer sie die Freizeit genießen möchte.

Natürlich müssen wir bei manchen Rollen – zum Beispiel im Kundenservice oder am Fließband – nach Arbeitszeit bezahlen. Aber bei vielen Aufgaben können wir mehr auf die Ergebnisse schauen und haben damit einen guten Hebel für mehr Produktivität. 

Das kommt auch Teilzeitkräften entgegen, wenn sie in drei oder in vier Tagen das gleiche erreichen wie die Vollzeitkräfte. Oft sind Unternehmen aber trotzdem nicht bereit, ihnen dann das gleiche zu zahlen wie den 40-Stunden-Leuten. Unsere grundsätzliche Herangehensweise mit den festgefahrenen 40 Stunden ist auch das Problem.

Das finde ich auch total vertrackt. Einerseits ist es aus Sicht der Teilzeitkraft natürlich unfair. Andererseits versteh ich auch die Unternehmen, die dieses Fass nicht aufmachen wollen und hier den Konflikt mit ihren 40-Stunden-Kräften scheuen.

Es gibt so viele Bereiche, in denen etwas zu verbessern ist. Mein Bereich ist die remote Arbeit, dein Bereich ist Teilzeitarbeit, dann habe ich auf deinem Blog vorher noch den Bereich Gehalt und Gehaltstransparenz gesehen. Jeder Bereich dieses New Work-Felds ist derart komplex.

Deswegen habe ich großen Respekt vor den Unternehmen, die sich auf den Weg machen und die dann merken, dass sie ein Projekt aufmachen und sich dann daraus fünf neue Stränge ergeben. Da muss ich natürlich auch irgendwo mal einen Punkt machen.

Aber wegzugucken, und so zu tun, als gäbe es die Themen nicht, wird der Untergang sein. Deswegen müssen wir uns bestimmte Bereiche raussuchen und so Schritt für Schritt die Themen angehen.

Vielen, vielen Dank für das Interview, Teresa!


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